Naturschutzfachliches Leitbild

In der historisch gewachsenen Kulturlandschaft sorgten kleinräumige, verschiedenartige Nutzungen mit ihren vielen Saum- und Grenzflächen für ein Netz aus Rainen, Hecken, Obstbaumreihen, vegetationslosen, unbefestigten Wegen und etlichen anderen Strukturen, die zahlreichen Tieren und Pflanzen Lebensraum boten. Dieses Netz ermöglichte gleichzeitig insbesondere Insekten, aber auch Reptilien und Amphibien, Wanderungsbewegungen zur Erreichung von überwinterungsquartieren oder zur Erschließung neuer Lebensstätten.

Durch die Technisierung und Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion gingen nicht nur die artenreichen Grünlandflächen und die Anbauflächen für Hafer zurück, sondern unter wirtschaftlichen Zwängen wurden die Schläge vergrößert, das Wegenetz modernisiert und weitmaschiger gestaltet, die meisten Wege mittlerweile asphaltiert. Zahlreiche Kleinlebensräume gingen auf diese Weise verloren. Das Resultat ist eine Verinselung von Lebensräumen. Führte in früherer Zeit ein Schäfer seine Herde über zertrampelte und zerfahrene Erdwege von einem Magerrasen zum nächsten, so liegen diese Magerrasen heute oft als Inseln im Meer der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Sie genießen zwar jetzt gesetzlichen Schutz, doch die Schafe, die in ihrem Fell auch noch die Samen der Trockenrasenpflanzen transportierten und verbreiteten, sind lange ausgeblieben.

Seit etwa 1990 hat ein neues Schlagwort Einzug in den Naturschutz gehalten: Biotopverbund. Grundlegende Erkenntnis ist, dass alle Organismen zum Fortbestand ihrer Populationen über eine Reihe von Lebensstätten verteilt sein sollten, die untereinander einen Austausch ermöglichen. Zu groß sind sonst die Gefahren für genetische Verarmung, vor allem aber auch des zufälligen Aussterbens durch Umwelteinwirkungen, die den Bestand einer isolierten Insel vernichten. Nach und nach verschwindet eine Art so aus unserer Landschaft, weil immer mehr „Inseln“ verwaisen, ohne die Möglichkeit einer Neubesiedlung.

Die oben erwähnten Magerrasen stellen z. B. für den Rotleibigen Grashüpfer genauso Inseln dar, wie eine einzelne Pflanze für einen spezialisierten Pflanzenbewohner. Der letztere Fall wurde im Leinetal beispielhaft am Gemeinen Beifuß und der Wilden Karde untersucht, die unter anderem den Larven der Bohrfliege Oxyna parietina und des Kleinschmetterlings Argyroploce gentianana, eine Wicklerart, zur überwinterung und als Nahrung dienen. Doch das Netz der ökologischen Beziehungen ist noch enger geknüpft. Zumindest für die Bohrfliege sind bereits einige Parasitoide aus der Gruppe der Erzwespen bekannt. Diese entwickeln sich in ihrem Wirt und töten ihn im Lauf der Zeit, im Gegensatz zu Parasiten, die auf das überleben ihres Wirtes angewiesen sind, da sie sich dauerhaft von ihm ernähren.

Im Leinetal ist das Vorkommen der Ruderalarten Beifuß und Karde im Wesentlichen auf Wegränder, Brachestreifen und Gräben beschränkt. Die Besiedlung dieser Pflanzen durch die Bohrfliege und den Kleinschmetterling ist jedoch nicht nur von ihrem Vorhandensein sondern auch von der Populationsgröße und dem Ausbreitungsvermögen der Insekten abhängig. Diese Parameter entscheiden über die Neubesiedlung bzw. die Zuwanderungsrate in passenden Pflanzenbeständen.

Für den Beifuß ist die Abnahme der Phytophagenarten (Pflanzenfresser) mit zunehmender Isolation nachgewiesen. Für Insektenarten, deren Larven sich z.B. in den Blütenköpfen der Wilden Karde oder den Stängeln des Beifuß entwickeln und überwintern, ist eine Einschränkung der Mahd an Weg- und Grabenrändern überlebenswichtig. Der Verzicht auf die Mahd liefert einen Beitrag zu einem Mosaikstein, eigentlich einem „Mosaikstrang“, im Biotopverbundsystem. Die Fruchtstände von Karde und Beifuß sind nicht nur überwinterungsort von Insektenlarven, sondern die Samen liefern in Herbst und Winter auch etlichen Vögeln Nahrung. Diese stellen natürlich weit größere Raumansprüche als Insekten und lenken das Augenmerk damit auf die nächsthöhere Ebene der Biotopverbundsysteme, denen letzten Endes in der Ausdehnung nach oben keine Grenzen gesetzt sind, da schließlich die gesamte Biosphäre über Stoff- und Energieflüsse miteinander in Beziehung steht.