Einleitung
Einem Bericht der FAO zu Folge (FAO = Food and Agriculture Organization of the United Nations – die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) sind seit Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit gesehen rund 75% der Kulturpflanzen ausgestorben. Gegenwärtig verschwinden ca. 50.000 Arten pro Jahr. Die Weltbevölkerung deckt nach Angaben der FAO 90% ihres Kalorienverbrauchs mit nur noch 20 Pflanzenarten, davon machen Reis, Mais, Weizen und Kartoffel allein 50% aus.
Der Verlust von Kulturpflanzenvielfalt hat dabei gravierende Folgen. Dazu zählen u.a. weitreichende Veränderungen von Lebensräumen und Ökosystemen, die z.B. negative Folgen für die Artenvielfalt von Wildpflanzen und Tieren haben und in zunehmendem Maße die natürlichen Lebensgrundlagen bedrohen (wie z.B. gesunde Böden und sauberes, in ausreichendem Maße vorhandenes Trinkwasser).
Zudem macht die Fokussierung auf nur noch einige wenige Kulturpflanzen die Menschheit anfälliger für Hungersnöte, wenn einige dieser Pflanzen auf Grund von Krankheiten, Schädlingsbefall oder Extremwetterereignissen als Nahrungsmittel nicht den gewünschten Ertrag bringen. Auf nationaler Ebene stellte zuletzt im Mai das Bundesamt für Naturschutz (BfN) im Artenschutzreport 2015 fest: „Der Zustand der Artenvielfalt in Deutschland ist alarmierend“. Das BfN sieht in diesem Zusammenhang „dringenden Handlungsbedarf“ zum Erhalt der Biodiversität von Flora und Fauna. An diesem Punkt möchte das Projekt ansetzen: Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollen die Gelegenheit erhalten, bedrohte Kulturpflanzen mit allen Sinnen zu erleben, zu erforschen und selbst anzubauen (z.B. auch zu Hause oder im Schulgarten). Das Neu Entdecken und Selber Machen sowie die Begeisterung für die Geschmacksvielfalt und die Qualität des Ernteguts ermöglicht es den TeilnehmerInnen, die bedrohten Kulturpflanzen mit neuen Augen zu sehen und ihnen mit einer erhöhten Wertschätzung gegenüber zu treten. In der Folge wächst die Bereitschaft, sich für ihren Erhalt einzusetzen.
Durchführung
1. Jahr
Die Fläche auf der der Garten zur Vermehrung des Saatguts der alten Kulturpflanzen entstehen sollte wurde dem Institut für allgemeine und angewandte Ökologie freundlicherweise von einem in Bühle ansässigen Landwirt zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um ein Randstück einer Ackerfläche mit lehmigem Ton, das aufgrund seines teilweisen Gefälles mit unterschiedlicher Exponierung ackerbaulich mit Maschinen schlecht nutzbar ist.
Im Spätherbst 2015 bereiteten die Mitarbeiter des Instituts die Fläche für das Pflügen vor. Daraufhin konnten noch vor dem Winter 2 Teilstücke der Fläche, die aufgrund des geringen Gefälles bearbeitbar waren, von dem Landwirt für das Institut gepflügt werden. So entstand am unteren Teil des Hangs ein Beet von ca. 100 m² und am oberen Teil des Hangs, etwas weiter westlich, ein weiteres Beet von ca. 150 m².
Über den Winter trug die Frostgare dazu bei, die groben Kluten des lehmigen Tons zu zerkleinern. Um ein feinkrümliges Saatbett zu erhalten, musste die Fläche im Frühjahr vom dem Landwirt geeggt und anschließend von den Mitarbeitern des Instituts ein weiteres Mal mit einer leistungsfähigen Gartenfräse bearbeitet werden.
Im Anschluss an die Arbeiten zur Saatbettbereitung konnte die Gesamtfläche zum Schutz vor Wildfraß umzäunt werden. Zusätzlich wurde eine der bearbeiteten Teilflächen von einem insgesamt 40 m langen Schneckenzaun aus Kunststoff eingefasst.
Parallel zur Vorbereitung der Beete auf der Fläche in Bühle wurden am Institut verschiedene Pflanzen in Töpfen und Kästen vorgezogen, um ein besseres Anzuchtergebnis zu erzielen. Darüber hinaus erfolgte aber auch die Aussaat von Saatgut in bereits an anderer Stelle bestehenden Gärten.
Für die Aussaat und die Gewinnung von Saatgut konnte die Anne Frank Schule in Holzminden als Kooperationspartner gewonnen werden. Von den SchülerInnen wurde Hafer, Lein, Stangenbohnen und Erbsen angebaut. Anfang September erhielt das Institut das erste Erntegut zur Archivierung. Da die Kinder viel Spaß und Interesse an der Saatgutvermehrung hatten, wurden gleichzeitig drei Wintergetreidearten an die Schule abgegeben.
Mit Beteiligung von Kinder- und Jugendgruppen wurden im Laufe des Jahres die vorgezogenen Pflanzen nach und nach in den Garten in Bühle ausgepflanzt.
Im Spätsommer war bei einigen Gewächsen die Ernte von Samen möglich. Die SchülerInnen konnten sich bereits kleine Mengen in Tütchen abfüllen und gegebenenfalls mit nach Hause nehmen. Im Herbst wurde winterannueller Emmer, Weizen und Dinkel auf der Fläche angesät.
2. Jahr
Im 2. Jahr wurden 32 unterschiedliche Pflanzen (davon 11 heute kaum noch bekannte Arten und 21 seltene Sorten bekannter Kulturpflanzenarten) in dem in Bühle angelegten Garten und, um eine Verkreuzung der verschiedenen Sorten miteinander zu vermeiden, auch in weiteren Gärten angebaut.
Ein Teil des Saatguts der Pflanzen wurde zusammen mit den TeilnehmerInnen der Bildungsveranstaltungen direkt auf den Flächen ausgesät.
Ein größerer Teil der Pflanzen wurde von den Institutsmitarbeitern -aus Gründen des Schutzes vor Frost und Schädlingen- unter geschützten Bedingungen vorgezogen. Zwei zweijährige, aber nicht frostbeständige Kohlarten wurden aus ihrem Überwinterungsquartier (in Sand im Keller) geholt und vorsichtig an die Freilandbedingungen gewöhnt. Anschließend wurden die Pflanzen zusammen mit den Teilnehmern der Bildungsveranstaltungen in den Gärten ausgepflanzt. Diese bekamen dabei die Gelegenheit, das Wesen der alten Kulturpflanzen nicht nur auf theoretische, sondern auch auf praktische Weise und mit allen Sinnen zu erfahren.
Zusätzlich zur gemeinschaftlichen Pflege der Beete wurden die Kinder und Jugendlichen an der Ausgestaltung des Gartens in Bühle beteiligt.
So halfen sie beim Verlegen der Wege, dem Kennzeichnen der Pflanzenarten und dem Aufbau und der Bepflanzung der Frühbeete.
Die erwachsenen TeilnehmerInnen der Bildungsveranstaltungen fungierten im doppelten Sinne als MultiplikatorInnen. Zum einen konnten sie das bei der Veranstaltung erworbene Wissen um alte Kulturpflanzen an die von ihnen betreuten Kinder weitergeben, zum anderen Saatgut mit nach Hause nehmen, vermehren und weitergeben. Die Tatsache, dass Saatgut auch für den Anbau im eigenen Garten einfach so mitgenommen werden konnte, fand großen Anklang.
Mit Fortschreiten des Jahres begannen die ersten Früchte zu reifen. In dieser Phase wurde der Schutz vor Schädlingen besonders wichtig. Nach den bis dahin erforderlich gewordenen Schutzmaßnahmen, wie dem Abdecken des Wirsingkohls mit Vlies als Schutz vor einem Befall mit Kohlweißlingsraupen und dem Aufbau eines Schneckenzauns, gab es nun einige Probleme mit Mäusen, die aus der naturnahen, kleinräumig strukturierten Umgebung in den Garten hineinwanderten und die milchreifen Getreideähren (von Khorasan, Gerste, Weizen, Emmer, Einkorn und Dinkel) „ernteten“. Das machte es notwendig das Getreide extrem frühzeitig zu ernten und im Inneren des Institutsgebäudes nachreifen zu lassen. Weiterhin wurde die Konstruktion eines Schutzes vor Vögeln über der Kolbenhirse notwendig.
Nicht wenige der alten Kulturpflanzen blühten und fruchteten gleichzeitig, so dass sich vor Ort an den Pflanzen sehr gut zeigen ließ, aus welchen Teilen der Blüte sich die Frucht entwickelt.
Nachdem dies den Kindern und Jugendlichen an einem Beispiel gezeigt worden war, zogen sie häufig aus eigenem Antrieb los, um zu untersuchen, ob die anderen Pflanzen im Garten schon fruchten und um herauszufinden, wo an den anderen Pflanzen denn die Frucht zu finden sei.
Ab Juni konnten – beginnend mit einer frühen Erbsensorte – die ersten Früchte geerntet werden. Einige Arten wurden direkt vor Ort im Anschluss an die Gewinnung des Ernteguts von den Kindern gedroschen, abgepackt und beschriftet, so dass sie schon aus eigener Anschauung wussten, was für Pflanzen aus dem Saatgut wachsen würden, das sie mit nachhause nahmen.
Das Erntegut der meisten Arten wurde zunächst zum Institut transportiert und dort zwischengelagert. Ein Teil davon wurde dann im Rahmen der Bildungsveranstaltun- gen am Schulbauernhof gedroschen und abgepackt.
Die Kinder erhielten während des Dreschens Informationen über die Pflanze und beschrifteten die Saatguttütchen mit dem Namen der Pflanze. Zum Schluss durften sie einige der frisch abgepackten Saatguttütchen zusammen mit einer Kurzinformation mitnehmen.
Das Saatgut, das noch nicht verteilt wurde oder für die Vermehrung in den vom Institut angelegten Gärten vorgesehen ist, wird in einer Kühlvorrichtung aufbewahrt. Diese kleine Genbank soll auch künftig durch einen wechselnden Anbau von jährlich ca. 20 Arten erhalten bleiben.
Resumee
Insgesamt wurde das Bildungsangebot gut angenommen. Die Information darüber, was für Pflanzen einst als Kulturpflanzen genutzt wurden, z.T. auch schon der Einblick in die Tatsache, wie vielfältig die Kulturpflanzenwelt überhaupt ist, rief oft Erstaunen und Neugier, sowie den Wunsch danach einmal den Geschmack der essbaren Pflanzenteile zu testen, hervor.
Das Angebot, Saatgut mitnehmen zu dürfen, wurde gut, z.T. begeistert angenommen. Dass sich im Rahmen des Selbst-Anbaus der Pflanzen aus dem mitgenommenen Saatgut auch die Möglichkeit ergibt, die Samen zu ernten und wieder auszusäen konnte nicht nur theoretisch, sondern auch aus der eigenen Anschauung und dem eigenen Handeln erfahren werden.
Kontinuität des Vorhabens und Ausblick
Künftig sollen verstärkt Ehrenamtliche in die Feldarbeit und die Pflege der Genbank eingebunden werden. Wenn möglich sollen weitere bedrohte Kulturpflanzen mit hinzukommen. Die Bildungsarbeit soll in eingeschränktem Umfang ebenfalls verstetigt werden. Dazu ist geplant, die Kooperation mit dem Internationalen Schulbauernhof fortzuführen, um so kontinuierlich weitere Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus Niedersachsen und weiteren Bundesländern für das Thema „Kulturpflanzenvielfalt“ zu begeistern und als MultiplikatorInnen zur Verbreitung des Saatgutes zu gewinnen. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel sollen durch den Ausbau der Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft und weiteren Förderern aufgebracht werden.